Umgestaltung Hitlers Geburtshaus in Braunau


Sonderpreis im Wettbewerb - gemeinsam mit Springer Architekten, Berlin

  • Bildtitel

    Ansicht Rückseite

    Button

Sich nicht zu erinnern, ist nicht denkbar.



Die historische Bindung dieses Ortes in Braunau an Adolf Hitlers Geburt ist nicht aufzulösen. Selbst der Versuch zu vergessen, würde hier zum Zeichen. Jede Intervention und ebenso jede Unterlassung gewänne an dieser Stelle eine symbolische Bedeutung. Handeln wie Nicht-Handeln und das dann sichtbare Ergebnis sind ohne Bezug zum historischen Ereignis schlicht nicht vorstellbar. Selbst die ostentative Enthaltung von jedem erkennbaren Verweis auf die Geschichte würde hier zu einer Aussage.

Die Bestimmung dieses Ortes kann allein nur das mahnende Erinnern sein.


Adolf Hitlers Geburtsort ist kein Tatort nationalsozialistischer Verbrechen. Hier ist es uns nicht möglich, die Perspektive der Opfer einzunehmen, hier können wir uns nicht auf eine Empathie mit den Opfern zurückzuziehen. Dieser Ort wirft uns auf uns selbst zurück. Die kaum erträgliche Spannung zwischen der Unschuld der Geburt und der unermeßlichen Dimension der von Menschen begangenen Verbrechen machen das Erinnern hier zu einer Mahnung an jeden Einzelnen. In jedem von uns ist auch die Möglichkeit unvorstellbarer Taten angelegt. Hitlers Geburtsort kann daher künftig nur eines sein: ein Ort des uns selbst mahnenden Erinnerns.




Ein gewöhnlicher Gebrauch des Ortes ist uns Heutigen nicht mehr möglich


Dieser Bedeutungswandel aber ist durch eine neue Nutzung des Hauses nicht zu leisten. Jeder neue Gebrauch des Hauses träte ein in ein enges, nicht aufzulösendes Verhältnis zu dessen bekannter Geschichte, er würde selbst zum Zeichen. Die Last dieser Bedeutung aber vermag eine neue Nutzung allein nicht zu tragen. Vielleicht muß man sogar zugeben, daß ein weiterer, gewöhnlicher Gebrauch des Hauses Menschen nicht zuzumuten ist. Nicht eine neue Nutzung, die Erinnerung selbst muß diesen Ort besetzen.

  • Bildtitel

    Ansicht Straße

    Button

Straßenansicht

  • Bildtitel

    Schnitt

    Button

Schnitt

Die Aura des Ortes darf einem Führerkult keinen Anhalt geben


Eine kaum zu überschätzende Schwierigkeit liegt in einer auratischen Qualität, die bis heute immer wieder unerwünschte, verehrende Aneignungen provoziert. Diese ‚Eigenschaft des Ortes‘ ist nicht gebunden an die Echtheit der überkommenen Bauteile (wie schon der Umbau von 1938-43 zeigt, der ja fast alle Oberflächen der historischen Substanz zu Gunsten einer verehrenden Neu-Inszenierung aufgegeben hatte), sondern sie bedarf allein einer gewissen Glaubwürdigkeit des Bildes. Die Intervention am Bauwerk zielt auf diese Bildwirkung, auf ein anderes, ein positives Symbol. Sie setzt ein gegensätzliches Zeichen.




Ein Zeichen des Lebens


Als ein Zeichen des Lebens nimmt künftig eine kleine Gruppe von frei wachsenden Bäumen mit ihren Wurzeln und mit der Erde, in der sie wachsen, das alte Haus ein - vollständig. Sichtbar werden nur die über die Traufe des alten Hauses hinausragenden Kronen der Bäume sein. Daß diese Bäume im Haus selbst wurzeln, erschließt sich erst über die eigene Vorstellungskraft. Das alte Haus selbst hat seine Nutzung offensichtlich verloren; verschlossen und seiner Fassade beraubt steht es merkwürdig fremd zwischen seinen Nachbarn. Allein die Bäume besetzen jetzt den Ort der Erinnerung, der selber für die Menschen vollkommen unzugänglich bleibt.

Zur Umsetzung


In einem ersten Schritt werden sämtliche Hinzufügungen des Umbaus von 1938-43 entfernt, das sind insbesondere der Dachstuhl mit der Eindeckung, der gesamte Außenputz einschließlich aller gliedernden Gesimse, Gewände und dergleichen sowie sämtliche inneren Oberflächen, also Decken, Böden und Putze. Erhalten bleibt so nur noch die aus der Zeit vor 1938 überkommene Substanz des Rohbaus.

In einem zweiten Schritt werden die technischen Voraussetzungen für das ‚Besetzen‘ des Hauses geschaffen. Die Außenwände werden durch eine zusätzliche Betonwand verstärkt, die sämtliche äußeren Tür- und Fensteröffnungen verschließt und die zugleich den Erddruck der späteren Verfüllung aufnimmt. Im straßenseitigen Erdgeschoß ersetzt die Betonwand die Pfeiler und Fenster aus der Zeit von 1938-43 vollständig. Einfache Wandvorlagen stützen hier die Außenwand der oberen Geschosse. Eine lichtgraue, neutrale Schlämme egalisiert die Oberflächen und wirkt einer ‚ruinenhaften‘ Erscheinung entgegen.

In einem dritten Schritt wird das Haus von den Kellerräumen bis zum 2. Obergeschoß vollständig zunächst mit dem angefallenen Bauschutt, dann mit Erdreich verfüllt, so daß der Boden ungefähr mit der Decke über diesem Geschoß abschließt. In freier Anordnung wird hier eine kleine Gruppe teilweise immergrüner Bäume gepflanzt. Allein zu Pflegezwecken ist das kleine Wäldchen über eine schmale Wartungsstiege aus dem Untergeschoß des Nachbarhauses zugänglich.

  • Bildtitel

    Ansicht Rückseite

    Button

Rückansicht

  • Bildtitel

    Ansicht Seite

    Button

Seitenansicht

Ein anderes Haus


Daß die Polizei an diesem Ort künftig eine permanente Präsenz zeigen wird, ist zu begrüßen. Für die drei Dienststellen wird im östlichen Teil des Wettbewerbsgebietes ein funktionaler Neubau errichtet. Mit seiner modernen Holzbauweise und einem klaren, zugewandten Charakter vermittelt der architektonische Ausdruck des Neubaus nicht zuletzt auch das Selbstverständnis der Polizei in einer demokratischen Gesellschaft.


Gegenüber dem Haus Salzburger Vorstadt 15 behauptet der einfache, langgestreckte Baukörper des Neubaus eine typologische und architektonische Eigenständigkeit, die der mehrdeutigen Situation eines rückwärtigen aber freigestellten Hauses im Kontext der Altstadt in einer selbstverständlichen Form gereicht wird. Ein dem Haus im Süden vorgelagerter, gefaßter Garten arrondiert die Situation im Stadtraum.

Zwei voneinander unabhängige Zugänge von Westen für die Polizeiinspektion und von Osten für Bezirkspolizeikommando und polizeiliches Koordinationszentrum erlauben einen voll- kommen separaten Betrieb der verschiedenen Nutzungseinheiten. Dennoch sind nachträgliche Veränderungen der Raumzuordnungen ohne große Umbauten einfach zu realisieren. Eine Tiefgarage unter dem Neubau nimmt bis zu 28 Fahrzeuge auf einer Ebene auf; ein zweites Tiefgeschoss ist möglich, aber wohl kaum wirtschaftlich.


Eine klare und einfache Struktur, die rationelle Erschließung und eine gute Flächeneffizienz lassen eine wirtschaftliche Erstellung des Neubaus erwarten. Die Errichtung der Obergeschosse in einer zeitgemäßen Holzskelettbauweise trägt den gewachsenen Anforderungen an eine Reduzierung der CO2-Emissionen Rechnung, auch wenn die Tiefgarage und die wegen der gewünschten Unterscheidung zum Nachbarn hier vorgeschlagene Metalldeckung die Bilanz natürlich beeinträchtigen werden. (Jörg Springer)

Ort:
Salzburger Vorstadt 15, 5280 Wien
Bauherr:
Bundesministerium für Inneres, Wien
Bearbeitungszeitraum:
Frühling 2020
Projektpartner:
Architekt: Springer Architekten, Berlin
Brandschutz: Hartisch, Lebring
Auszeichnungen:
Sonderpreis im Wettbewerb
Ausstellungen:
Hot Questions - Cold Storage, Schausammlung zur österreichischen Architektur des 20. und 21 Jahrhunderts
Architekturzentrum Wien (AzW)
Veröffentlichungen:
Hot Questions – Cold Storage, Architektur aus Österreich. Die Schausammlung des Az W
Hrsg.: Angelika Fitz, Monika Platzer und Architekturzentrum Wien
Verlag: Park Books, ISBN: 978-3-03860-317-7, 2023

Gebaute Verdrängung?, Kritische Nachbesprechung zum Architekturwettbewerb für eine Polizeistation im Geburtshaus von Adolf Hitler in Braunau am Inn.
Hrsg.: DA - Verein zur Förderung von Diskurs in der Architektur, ZVR: 1069571931, 2023

Von der Macht der Bilder und Nichtbilder
von Wojciech Czaja
in: Reden wir über Baukultur! Was morgen wichtig wird.
Hrsg.: IG Architektur, Wien
Jovis Verlag, Berlin, ISBN 978-3-86859-760-8 (Softcover)
ISBN 978-3-8685-802-5 (PDF), 2022

Unbequemes Denkmal - Umbau von Adolf Hitlers Geburtshaus
von: Jürgen Tietz
in: Der Tagesspiegel, 15.06.2020

Bis zum Vergessen zeitlos
von: Gerhard Matzig
in: Süddeutsche Zeitung, 09.06.2020

Pläne für Hitler Geburtshaus: Weil Hitler nie geboren wurde
von: Wojciech Czaja
in: Der Standard, 06.06.2020

Zurück zum Biedermeier
von: Laura Langeder
in: ORF.at, 06.06.2020

Adolf-Hitler-Geburtshaus
in: Wikipedia

Rückkehr in den Alltag
von: Wolfgang Jean
in: Bauwelt 17.2020, 18.08.2020

Die unlösbare Wettbewerbsaufgabe
von: Walter H. Chramosta
in: Architektur & Bauforum, 29.06.2020

Heil Kräuter statt Hitler-Haus
von: Peter Gnaiger
in: Salzburger Nachrichten, 27.06.2020
Share by: